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Diener zweier Herren
von Die Zeit
04.04.07     A+ | a-
Fernando Lugo ist Paraguays Bischof der Armen. Jetzt will er die Nation als Präsident führen und die reiche Elite des Landes entmachten. Doch die katholische Kirche stellt sich ihm in den Weg.

Asunción
Fernando Lugo , Bischof der Armen in Paraguay

Viele Häuser in Asunción fressen jetzt Kreide. Je ärmlicher die Wohnblocks in Paraguays Hauptstadt verputzt sind, desto häufiger dienen sie als Tafeln. Ein friedfertiges Volk beginnt Schreibübungen für die erste Protestwahl seiner Geschichte. »Lugo, sí, sí« steht an den Wänden. Auf Fernando Lugo hoffen die Campesinos und die Chacarita, die landlosen Kleinbauern und die Bewohner der städtischen Elendsviertel. Auf den Bischof, der im Dezember sein Priesteramt niederlegte, um sich im Jahre 2008 als Staatspräsident zu bewerben. »Mein Gotteshaus ist von nun an die Nation!«, hat er verkündet. Und wenn die Nation am Wahltag zu ihm strömen sollte, dann will der 56-Jährige die Kirche der Armen mit den Reichen an einen Tisch bringen. Es wäre ein ganz neuer Akt der alten Befreiungstheologie.

»Lugo, sí, sí« an den Wänden – das liest sich wie ein Menetekel im Palacio López, von dem aus Präsident Nicanor Duarte und seine Entourage einen sonst so ungetrübten, weiten Blick über den Paraguay-Fluss haben. Duartes rechtskonservative Colorado-Partei, die schon der deutschstämmige Diktator Alfredo Stroessner anführte, herrscht seit 60 Jahren. Länger als die Kim-Dynastie in Nordkorea.

Doch nicht nur im Palacio López – selbst im fernen Vatikan hat das »Lugo, sí, sí« Widerhall gefunden. Im Mai nämlich wird Papst Benedikt XVI. zur 5. Bischofskonferenz Lateinamerikas nach Brasilien reisen. Auf jenem Subkontinent aber, den fast die Hälfte aller Katholiken der Welt bewohnt, kam die Kirche der Armen Ende der sechziger Jahre zur Welt. Und mit ihr die Befreiungstheologie. Juan Pablo II., wie der polnische Papst dort heißt, und der von ihm 1981 als Präfekt der Glaubenskongregation eingesetzte Joseph Kardinal Ratzinger hatten diese politische Instrumentalisierung der katholischen Soziallehre verurteilt und bekämpft. Sie sahen die Hierarchie der Amtskirche von den volksnahen Priestern bedroht, die das Christentum als innerweltliche, reformerische bis revolutionäre Handlungsanweisung interpretierten. Der Vatikan obsiegte.


Gilt Fernando Lugos weltliche Kandidatur dem Pontifex nun als ein neues Signal dafür, dass sich Priester wieder von Rom absetzen und dem Feldzug des Populisten Hugo Chávez für die Unterdrückten Südamerikas folgen könnten? Ein Brief an Lugo aus dem Vatikan und die fast zeitgleiche Abmahnung des angesehenen Befreiungstheologen Jon Sobrino in San Salvador klingen zumindest wie eine Vorwarnung an radikalreformerische Kleriker auf der Bischofskonferenz.

Wer Fernando Lugo im Hörsaal der Casa de Jesuitas in Asunción gegenübersitzt, fühlt sich der Kirche der Armen näher als in den katholischen Akademien Europas. Karge Wände, kein Kreuz, harte, schmale Stühle mit Klapppult, an der Tafel Lehrsätze in blasser Kreide. Ein Saurier von Ventilator bekämpft die 40 Grad Hitze von der Straße und verschluckt bisweilen auch Lugos Worte. Er wägt sie lange ab. Schweigt. Spricht leise weiter. Nein, von der Befreiungstheologie will er sich nicht distanzieren. Durchaus nicht: »Sie ist ein Beitrag zur sozialen Verpflichtung des Evangeliums.« Pause. »Aber mir geht es nicht um Etikette, nur um Lösungen. Der tiefe Graben muss weg zwischen den 500 Familien, die im Stand der Ersten Welt leben, und der großen Mehrheit, die sich am Rande des Elends durchquält.«

Das hat Paraguays Regierung noch kein Kirchenoberer gesagt. Unter Stroessner hätte er nach einer solchen Forderung die engen Folterzellen in Asuncións Indepencia Nacional Nr. 579 kaum wieder lebend verlassen. Nach dem Sturz des Diktators rückte die Colorado-Partei immerhin vom nackten Terror ab. Schamlose Günstlingswirtschaft hält sie seither an der Macht. Ganze zwei Prozent des 6,5-Millionen-Volkes verfügen über 72 Prozent der bearbeiteten Landfläche. Die Elite denkt nicht an eine Bodenreform. Die bäuerlichen Kleinfamilien, die der Soja-Anbau immer weiter verdrängt, haben nie aufbegehrt. In ihrer Welt gab es keine Priester, die sich der Armen annahmen. Die machten nach der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1963 bis 1965) eingeleiteten Generalreform Geschichte vor allem in Brasilien, Peru, Kolumbien, Mittelamerika. Der legendäre Dom Hélder Cámara zum Beispiel – dessen Grab im brasilianischen Olinda Bundespräsident Horst Köhler jüngst besuchte – trug eigenhändig Brot in Rios Elendsquartiere und entkam den Attentaten der Militärregierungen nur knapp. Erzbischof Oscar Romero, dessen engster Berater der jetzt abgemahnte Jon Sobrino war, wurde 1980 am Altar in Salvador erschossen. Paraguay lag abseits der sozialrevolutionären und theologischen Gefechte. »Heute«, sagt der Befreiungstheologe Leonardo Boff, dem Kardinal Ratzinger einst ein Bußschweigen auferlegt hatte, »treibt die dritte Generation viel weniger Theologie als wir Alten. Die kniet sich in die Sozialpastorale, arbeitet mit Landlosen, Kindern, Indianern.« Wie Fernando Lugo.

Der suspendierte Bischof trägt ein weißes, vor der Brust besticktes Hemd aus reiner Baumwolle. Das Apooi gehört zur traditionellen Tracht der Landbevölkerung. Sie wird die Wahl entscheiden. Würde die Colorado-Partei nicht wie üblich Stimmen kaufen, hätte Lugo leichteres Spiel. Denn er fesselt seine Zuhörer am meisten, wenn er in der Indianersprache Guarani redet, die heute das Idiom der Campesinos und der Armen ist. Guarani ist nicht zuletzt so verbreitet, weil der einst vorbildliche Jesuitenstaat dieser Region die Sprache während der spanischen Kolonialzeit gefördert hatte. Jesuiten standen im 20. Jahrhundert auch in der ersten Reihe der Befreiungstheologen.

Während der damaligen Auseinandersetzung um die Kirche der Armen studierte Fernando Lugo in Rom Theologie. Stroessner hatte ihn aus dem Land gejagt, die Kirche fing ihn auf. Fünf Jahre nach der Vertreibung des Diktators wurde Lugo mit erst 43 Jahren Bischof von San Pedro, einer Schmuggelregion dicht an Brasilien. Was hat ihn seither zum Grenzgänger zwischen Kirche und Politik gemacht? »Parteien und politische Klasse haben seit Stroessners Sturz nahezu nichts für den Aufbau des Rechtsstaats getan«, führt Lugo an. »Die Justiz ist eine Magd der Politik. Die Korruption kennt keine Grenzen mehr, weil das Bewusstsein der Sünde verloren ging.« Doch dieses Bewusstsein allein wird kaum ausreichen, um sich gegen die Stimmenkäufe der Regierungspartei zu behaupten. Der politisch unerfahrene Armenpriester braucht weltliche Berater. Und ob die den Versuchungen standhalten, muss sich noch erweisen. Derzeit zieht seine kleine Karawane quer durch Paraguay, um das Land politisch zu vermessen. »Wer bezahlt das?« – »Die Reisen haben mich bisher zwei Paar Schuhe gekostet und das Kleingeld für die Maut. Überall leiht man uns Autos. Die Tankstellen geben den Sprit umsonst her. Wo wir hinkommen, laden uns die Leute zum Essen und zum Nachtlager.«

»Würden Sie Wahlkampfspenden von Hugo Chávez annehmen?« – »Keine Drogengelder, keine Schmuggeleinnahmen. Eine Schenkung ohne jede Bedingung wäre zu erwägen. Nur sind solche Spenden im Prinzip illegal. Und wir brauchen jetzt nichts von Chávez.« – »Die Regierung warnt davor, dass Sie sich sofort mit Chávez verbünden würden…« – »Dass er den Reichtum zugunsten der armen Mehrheit gerechter verteilen will, hat meine Bewunderung. Aber Dirigismus im Dienste einer Person kann zu Mangel an Pluralismus führen. Das bekommt keiner Demokratie.« – »Wie wollen Sie eine Landreform ohne Revolution durchsetzen?« – »Ich glaube nicht an Gewalt. Ich will Viehzüchter, Großgrundbesitzer und Campesinos an einen Tisch bringen. In einem Bezirk war es schon so weit. Gemeinsam beschlossen wir eine Reform, die von den Produkten der Kleinbauern ausging. Ein knochenhart erarbeiteter Konsens – aber wir hatten ihn gefunden. Doch die Regierung verwarf ihn wieder.

So lehrt der politische Novize Paraguays Alleinherrscher in ihrem 60. Jahr das Fürchten. Präsident Nicanor Duarte strebt jetzt in aller Eile eine Verfassungsänderung an, die ihm eine zweite Kandidatur ermöglichen soll. Überdies kann er auf einen Brief aus Rom pochen. Der stammt von dem für die Bischöfe zuständigen Kardinal Giovanni Batista Re. Und obzwar der Vatikan Fernando Lugo von seinen Aufgaben suspendiert hat, heißt es in der am 1. Februar veröffentlichten Epistel, der Priester müsse weiter im Stande des Geistlichen bleiben. Die Bischofswürde sei frei und für immer angenommen. Die Kandidatur eines Bischofs könne Verwirrung und Spaltung der Gläubigen verursachen und wäre ein Affront gegen die Laien. Lugo bringe sich in die Gefahr der Exkommunikation, drohte sogleich einer der Bischöfe aus dem Präsidentenlager.

»Ganz klar«, entgegnen die Rechtsberater des so Attackierten, »die Regierung nutzt Roms Edikt, um dem Bischof die Rote Karte zu zeigen. Sie arbeitet darauf hin, dass jetzt der Oberste Gerichtshof oder die Wahlkommission über die Zulässigkeit seiner Kandidatur entscheidet.« Beide Institutionen werden von der Colorado-Partei beherrscht.

Fernando Lugo aber glaubt weiter an eine höhere Gerechtigkeit. Diesmal verschluckt der rauschende Ventilator in der Casa de Jesuitas keines seiner Worte: »Paraguay ist ein laizistischer Staat. Und deshalb gilt Artikel 42 unserer Verfassung, wonach niemand gezwungen werden kann, einer Organisation anzugehören.« Und die Zeit, um theologische Prinzipien durchzufechten, scheint ihm für Lateinamerika abgelaufen: »Hunger und Arbeitslosigkeit, erbärmliche Gesundheit und Bildung haben keine Ideologie. Heute nicht mehr.«

Fernando Lugo
1951 geboren in der Provinz Itapua als Sohn paraguayischer Kleinbauern
1971 Eintritt ins Priesterseminar, nachdem er als Dorflehrer gearbeitet hatte
1977 bis 1987 Priester und Missionar in Ecuador
1987 bis 1991 Studium in Rom, dann Professor in Paraguay
1994 Weihe zum Bischof von San Pedro
2006 Lugo legt das Priesteramt nieder, um in die Politik zu gehen

Von Christian Schmidt-Häuer

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