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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

El loro pelado (Der Nackte Papagei)
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
11.03.05     A+ | a-
Im Urwald von Misiones lebte einmal eine große Papageienfamilie.
Früh am Morgen flogen sie zu den Maisfeldern, um die jungen Kolben anzuknabbern, und am Nachmittag naschten sie Orangen. Sie kreischten und machten einen Riesenlärm, und immer saß auf dem höchsten Baum ein Papagei  als Wache, der Bescheid geben musste, wenn jemand kam. Die Papageien sind sehr schädlich, weil sie nämlich einen Maiskolben nach dem anderen öffnen und immer nur ein paar Körner herauspicken, und wenn es dann regnet, verdirbt der Mais. Aus diesem Grund, und weil sie auch im Eintopf gut schmecken, jagten die Knechte sie mit Gewehren.

Eines Tages schoss ein Knecht einen Wächterpapagei vom Baum herunter, der fiel verletzt auf den Boden und kämpfte noch eine gute Weile, ehe er sich packen ließ. Der Mann nahm ihn mit nach Hause für die Kinder seines Herrn, die pflegten ihn, weil er einen Flügel gebrochen hatte. Der Papagei wurde wieder gesund, und außerdem ganz zahm. Er hieß Pedrito. Er lernte Pfötchen zu geben, kletterte den Leuten gern auf die Schulter und knabberte und kitzelte sie an den Ohren. Pedrito lebte allein und verbrachte beinahe den ganzen Tag in den Orangen- oder Eukalyptusbäumen des Gartens. Auch machte es ihm großen Spaß, die Hühner zu ärgern, indem er ihr Gegacker nachmachte.

Um vier Uhr nachmittags, wenn im Haus Tee getrunken wurde, kam auch der Papagei in den Essraum spaziert, kletterte am Tischtuch hoch und aß Brot, das in Milch eingeweicht war. Außerdem war er ganz verrückt nach Tee mit Milch.Pedrito verstand sich sehr gut mit den Kindern. Sie erzählten viel mit ihm, sodass er bald sprechen lernte. Er sagte:“ Guten Tag, Lorito! ... Lecker Kartoffel! ... Kartoffel für Pedrito ...“ Er plapperte noch eine Menge anderes Zeug, das man aber besser nicht sagt, denn die Papageien, ebenso wie die Kinder, lernen mit Leichtigkeit auch schlimme Wörter.

Wenn es regnete, plusterte Pedrito sein Gefieder auf und brabbelte vor sich hin, mit ganz leiser Stimme. Und wenn das Wetter schön war, flog er los und schrie wie ein Verrückter. Er war, wie man sieht, ein sehr zufriedener Papagei, der nicht nur frei lebte und herumfliegen konnte, wie alle Vögel es wollen, sondern auch noch jeden Tag seinen „Fünf-Uhr-Tee“ hatte, ganz so wie die reichen Leute.

Also gut: Mitten in diesem Glück geschah es, dass eines Tages, nach fünf Tagen Unwetter und einem verregneten Vormittag, die Sonne wieder herauskam und Pedrito mit lautem Geschrei losflog: „Schöner Tag, Lorito! ...Lecker Kartoffel! ...Pfötchen, Pedrito! ...“, und er flog weit, immer weiter, bis er ganz tief unter sich den Paraguayfluss sah, der aussah wie ein breites, weißes Band. Und er flog noch weiter, bis er sich endlich auf einem Baum niederließ um auszuruhen. Und genau dort sah er plötzlich, durch die Zweige hindurch, unten auf dem Boden, zwei grüne Lichter aufschimmern, wie zwei riesige Leuchtkäfer.

„Was mag das sein?“, sagte sich der Papagei. Und dann: „Lecker Kartoffel ... Was wird das sein? ...Pfötchen, Pedrito ...“ Der Papagei quatschte immer so, wie alle Papageien, er schmiss die Wörter durcheinander ohne Sinn und Bedeutung, manchmal verstand man gar nichts. Und weil er sehr neugierig war, stieg er jetzt, Ast für Ast, am Baum hinunter, um genauer nachzuschauen was da unten leuchtete. Und da erkannte er es: Die beiden grünen Lichter waren die Augen eines Tigers, der sich dort auf den Boden geduckt hatte und ihn starr anblickte!

Pedrito aber war so glücklich wegen des schönen Tages, dass er überhaupt keine Angst verspürte. „Guten Tag, Tiger! ...“, plapperte er. „Pfötchen, Pedrito! ...“ Und der Tiger, mit seiner schrecklichen tiefen Stimme, antwortete: „Guten Tag!!“ „Guten Tag, Tiger! ...“, wiederholte der Papagei, „lecker Kartoffel, lecker Kartoffel, lecker Kartoffel! ...“ Das sagte er so oft, weil es schon vier Uhr mittags war und er große Lust auf Tee mit Milch hatte. Er hatte auch ganz vergessen, dass die Tiere des Urwalds keinen Milchtee trinken, und deshalb lud er den Tiger jetzt sogar ein: „Lecker Tee mit Milch! ... Tag, Pedrito, willst du mit mir Tee mit Milch trinken, Freund Tiger? ...“

Der Tiger aber bekam eine Riesenwut, weil er glaubte, der Papagei würde sich über ihn lustig machen.  Außerdem wollte er, weil er selber Hunger hatte, diesen quasselnden Vogel eigentlich nur fressen. Also antwortete er ihm: „Ja gern, a-ber komm doch ein biss-chen nä-her, ich hö-re so schlecht!“ Der Tiger war natürlich gar nicht schwerhörig, er wollte nur, dass Pedrito ganz dicht an ihn herankam, um ihn mit einem Prankenhieb zu packen.

Aber der Papagei dachte nur daran, welchen Spaß sie im Haus haben würden, wenn er mit diesem wunderbaren Freund käme, um Tee mit Milch zu trinken. Und schon flog er auf einen tieferen Zweig, noch näher am Boden. „Lecker Kartoffel, zu Hause! ...“ schrie er so laut er konnte. „Nä-her! Ich ver-ste-he dich nicht!“, antwortete der Tiger mit seiner dröhnenden Stimme. Der Papagei kletterte noch ein wenig tiefer und plapperte: „Lecker, lecker! Tee mit Milch! ...“ „Noch nä-her!“ wiederholte der Tiger.

Der arme Papagei hüpfte jetzt noch weiter heran  -  und genau in diesem Augenblick machte der Tiger einen Riesensprung, beinahe haushoch, und erwischte Pedrito mit den Spitzen seiner Krallen. Er konnte ihn nicht töten, riss ihm aber alle Federn vom Rücken ab  -  und den ganzen Schwanz! Keine einzige Feder blieb mehr an Pedritos Schwanz. „Da hast du´s!“ brüllte der Tiger, “jetzt kannst du deinen Tee mit Milch trinken gehen!“

Der Papagei flog los, schreiend vor Schmerz und vor Angst. Er konnte sich aber nicht mehr gut in der Luft halten, weil ihm ja der Schwanz fehlte, der für die Vögel wie ein Steuer ist. Er taumelte hin und her, als fiele er von einer Seite auf die andere, und alle anderen Vögel, die ihm begegneten, flohen erschreckt vor diesem merkwürdigen Papagei, und manche lachten ihn sogar aus. Endlich kam er zu Hause an, und das erste was er tat, war, sich im Spiegel der Köchin zu betrachten. Armer Pedrito! Er war der seltsamste und hässlichste Vogel, den man sich nur vorstellen konnte, ganz kahl, ohne Schwanz und zitternd vor Kälte! Mit diesem Aussehen konnte er sich doch nicht in den Essraum der Familie wagen!

Und so flog er zu dem Loch im Stamm des Eukalyptusbaumes, das wie eine Höhle war, versteckte sich darin in der hintersten Ecke, schaudernd vor Kälte und Scham. Die Familie im Esszimmer aber vermisste ihn mittlerweile: „Wo kann Pedrito nur sein?“, sagten sie. Und riefen:“ Pedrito! Lecker Kartoffel,  Pedrito!  Tee mit Milch, Pedrito!“ Der Papagei aber rührte sich nicht von der Stelle, gab auch keine Antwort, blieb still und stumm hocken. Sie suchten ihn überall, aber nirgends tauchte er auf.

Also meinten alle, Pedrito sei tot, und die Kinder fingen laut zu weinen an. Jeden Nachmittag zur Teestunde dachten sie an ihren Papagei, und sie erinnerten sich, wie gern er immer sein in Milchtee eingeweichtes Brot gegessen hatte. Ach du armer Pedrito!  Nie würden sie ihn wiedersehen, weil er doch ganz bestimmt tot war. Aber Pedrito war nicht tot, sondern hockte weiter in seiner Höhle und ließ sich nicht blicken, weil er sich doch schämte, so schrecklich auszusehen, fast wie eine nackte Ratte. Nur in der Nacht stieg er hinunter, um etwas zu essen, und morgens noch einmal, ganz schnell, um sich im Spiegel der Köchin anzuschauen. Dann wurde er wieder traurig, weil seine Federn so lange brauchten um zu wachsen.

Bis endlich, eines Tages, eines Nachmittags  -   die Familie saß zur Teestunde gerade am Tisch  -   Pedrito seelenruhig hereinstolziert kam, vorsichtig trippelnd wie immer und ganz so, als sei nichts geschehen. Alle wollten beinahe sterben vor lauter Freude, als sie ihn so lebendig und mit wunderschönen neuen Federn erblickten. „Pedrito, Lorito!“, riefen sie. „Was ist passiert? Was für glänzende Federn unser Papagei hat! Schaut mal!“ Sie wussten ja nicht, dass es neue Federn waren, und Pedrito blieb vollkommen ernst und stumm.  Er tat nichts weiter als in Milchtee eingeweichtes Brot zu essen, aber reden  -  nicht ein einziges Wort!

Am folgenden Morgen war deshalb der Hausherr sehr erstaunt, als Pedrito herangeflattert kam, sich auf seine Schulter setzte und wie ein Verrückter zu erzählen anfing. In zwei Minuten hatte er ihm alles, was geschehen war, berichtet, seinen Ausflug zum Rio Paraguay, die Begegnung mit dem Tiger, und alles Übrige  -  und nach jedem Erzählen rief er: „Keine einzige Feder mehr an Pedritos Schwanz! ... Nicht eine Feder, nicht eine Feder! ...“ Und er lud ihn ein, zu zweit den Tiger jagen zu gehen.

Der Hausherr, der genau zu dieser Zeit ein Tigerfell kaufen wollte, um es vor den Ofen im Esszimmer zu legen, war sehr zufrieden, dass er nun eins umsonst haben konnte. Nachdem er im Haus sein Gewehr geholt hatte, machte er sich also zusammen mit dem Papagei auf die Reise nach Paraguay. Sie vereinbarten, dass Pedrito, wenn er den Tiger sah, ihn mit Reden ablenken sollte, damit der Mann sich langsam mit der Flinte heranschleichen konnte.

Und so geschah es. Der Papagei setzte sich wieder auf den Ast eines Baumes, schwafelte und schwätzte  -   und schaute gleichzeitig nach allen Seiten, um zu sehen ob der Tiger in der Nähe war. Und endlich hörte er das Rascheln von Zweigen, erblickte gleich darauf unter dem Baum zwei grüne Lichter, die fest auf ihn gerichtet waren: Es waren tatsächlich die Augen des Tigers!

Und schon fing der Papagei zu schreien an: „Schöner Tag! ... Lecker Kartoffel! ... Lecker Tee mit Milch! ...Willst du Tee mit Milch? ...“ Als der Tiger den nackten Papagei von damals wiedererkannte, den er glaubte getötet zu haben und der schon wieder herrliche neue Federn hatte, wurde er furchtbar wütend und schwor sich, diesen Vogel diesmal nicht entwischen zu lassen. In seinen Augen funkelten Zornesblitze, als er ihm mit seiner brüllenden Stimme antwortete: „Komm nä-her! ... Ich bin taub! ...!“ Der Papagei flog auf einen tieferen Zweig, unaufhörlich plappernd: „Lecker! Brot mit Milch! ....“   Und dann, leise: „ER IST UNTER DIESEM BAUM!“

Als er die letzten Worte hörte, stieß der Tiger einen Schrei aus und erhob sich mit einem Satz.„Mit wem sprichst du da? Wem hast du gesagt, dass ich unter diesem Baum bin?!“ „Zu keinem, zu keinem!“, rief der Papagei. „Guten Tag, Pedrito ..., gib Pfötchen, Lorito ...“ Und er quatschte immer weiter, sprang dabei von Ast zu Ast und kam dem Tiger noch näher. Aber er hatte  „ER IST UNTER DIESEM BAUM“  natürlich nur gesagt, um dem Mann Bescheid zu geben, der geduckt und mit der Flinte im Anschlag auf dem Boden kauerte.

Jetzt war es so weit, dass der Papagei nicht mehr näher an den Tiger heran konnte, weil er ihm sonst fast ins Maul fallen würde, deshalb rief er: „Lecker Kartoffel! ...“ und dann:  „ACHTUNG! ...“ „Komm noch näher! ...knurrte der Tiger und machte sich zum Sprung bereit. „Lecker Tee mit Milch! ... ACHTUNG!  ER SPRINGT! ...“  -  und genau in diesem Augenblick sprang der Tiger tatsächlich mit einem Riesensatz auf den Papagei zu, aber der entwischte ihm, wie ein Pfeil, in die Luft. Im selben Moment drückte der Mann, der den Lauf seines Gewehres gegen einen Baum lehnte, um besser zielen zu können, den Abzug, und neun Kugeln, jede so groß wie eine Bohne, trafen den Tiger wie Blitze genau ins Herz. Der brüllte noch einmal so laut, dass der Urwald erzitterte, und fiel tot zu Boden.

Der Papagei aber, was für Jubelschreie stieß der aus! Er war ganz verrückt vor Freude, weil er doch Rache genommen hatte  -  und wie!   -  an diesem grässlichen Tier, das ihm seine Federn ausgerissen hatte! Auch der Mann war sehr zufrieden, weil es gar nicht so leicht ist, einen Tiger zu töten, und außerdem hatte er jetzt ein Fell für den Essraum.

Als sie nach Hause kamen, wussten alle schon, warum Pedrito sich so lange in der Baumhöhle versteckt hatte, und sie gratulierten ihm zu seiner Heldentat. Danach lebten sie weiter glücklich zusammen.  Pedrito aber vergaß nie, was ihm der Tiger angetan hatte, und jeden Nachmittag, wenn er ins Esszimmer kam um seinen Tee zu trinken, spazierte er zuerst an dem großen Fell vorbei, das schön ausgebreitet vor dem Ofen lag, und lud den Tiger zu Tee mit Milch ein. „Lecker Kartoffel!“ ...sagte er. „Willst du Tee mit Milch? ...Kartoffel für den Tiger! ...“
 
Da starben alle fast vor Lachen. Und auch Pedrito lachte mit.

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