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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Rio abajo (Flussabwärts)
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
25.02.05     A+ | a-
Der Mann trat auf etwas Weiches, und sofort spürte er den Biss in seinen Fuß. Er sprang nach vorn, und als er sich, fast gleichzeitig, mit einem Fluch auf den Lippen, umdrehte, erblickte er die yararacusú, die sich eingerollt und schon auf den nächsten Angriff vorbereitet hatte.Der Mann warf einen raschen Blick auf seinen Fuß, auf dem zwei winzige Blutstropfen sich nur sehr langsam vergrößerten, und löste seine Machete vom Gürtel.Die Schlange erkannte die Bedrohung, senkte den Kopf tiefer ins Zentrum ihrer Angriffsspirale, aber die Machete traf schon ihren Körper und zerhackte ihr das Rückgrat. Der Mann beugte sich zu der Bissstelle hinab, wischte die beiden Blutströpfchen weg, und einen Augenblick lang dachte er nach.Ein scharfer Schmerz ging von den beiden violetten Pünktchen aus, begann seinen ganzen Fuß zu durchdringen. Rasch schnürte er den Knöchel mit seinem Taschentuch ab und hastete den Pfad entlang bis zu seiner Hütte.

Die Schmerzen in seinem Fuß wuchsen an, verbanden sich mit dem Gefühl einer quälenden Hautspannung, und im gleichen Augenblick peinigten ihn zwei oder drei stechende Attacken, die, von der Wunde ausgehend, wie zuckende Blitze in seine Wade fuhren. Der Mann  konnte sein Bein jetzt nur noch mit Mühe bewegen; das Gefühl metallener Trockenheit in seiner Kehle, gefolgt von brennendem Durst, löste einen weiteren Fluch von seinen Lippen.Schließlich erreichte er sein rancho, warf sich mit den Armen über das Rad der Zuckerrohrpresse. Die beiden violetten Pünktchen waren jetzt nicht mehr zu erkennen, aufgelöst in einer grotesken Schwellung des gesamten Fußes. Die Haut schien noch dünner geworden, wie zum Zerreißen gespannt.

Er wollte seine Frau rufen, aber seine Stimme brach ab mitten in einem Rasseln, das aus seiner spröden Kehle aufstieg. Das Durstgefühl verzehrte ihn. „Dorotea!“, gelang ihm ein Grunzen, „bring mir Schnaps!“ Die Frau kam mit einem vollen Glas caña gelaufen, das er in drei Schlucken austrank. Aber er hatte überhaupt nichts geschmeckt dabei! „Ich wollte Schnaps, kein Wasser!“, röchelte er wieder. „Aber das ist doch caña, Paulino“, protestierte die Frau erstaunt. „Nein, Wasser war das. Aber ich wollte caña, habe ich gesagt!“ Die Frau lief noch einmal, und sie kam jetzt mit der Korbflasche zurück. Der Mann trank hintereinander zwei Gläser aus, spürte aber wieder nichts in seiner Kehle.

„Es sieht schlecht für mich aus“, murmelte er vor sich hin, den Blick auf seinen schwarzblauen, schon brandig glänzenden Fuß gerichtet.
Über den scharfen Einschnitten, die sein Taschentuch gebildet hatte, quoll das Fleisch hervor wie eine monströse Wurst. Unaufhörlich folgten rasende Schmerzzustände aufeinander, wie feurige Stiche, sie dehnten sich jetzt bis zur Leiste aus. Gleichzeitig wurde die Trockenheit in der Kehle, wie zusätzlich angeheizt durch seinen Atem, immer unerträglicher. Als er versuchte sich aufzurichten, hielt der Brechreiz ihn eine halbe Minute in gebeugter Haltung fest, seine Stirn war auf das Rad der Presse gestürzt.

Aber der Mann wollte nicht sterben. Er schleppte sich den Weg entlang bis zum Ufer des Paraná, bestieg sein Boot, setzte sich ins Heck und begann zur Mitte des Flusses hin zu rudern. Dort würde ihn die Strömung,  die nahe der Iguazú – Mündung sechs Meilen schnell ist, in weniger als fünf Stunden nach Tacurú-Pucú bringen. Mit einer dumpfen, verzweifelten Energie schaffte er es tatsächlich bis zur Flussmitte, aber dort angelangt glitt ihm das Ruder aus den wie abgestorbenen Händen.

Nach einem weitern Brechanfall, diesmal mit Blut vermischt, erhob er den Blick zur Sonne. Sie stand schon tief, dicht über dem Wald. Sein Bein war, bis zum Oberschenkel hin, ein einziger unförmiger und steinharter Block, der die Kleidung zu zerreißen drohte. Er löste den Verband, schnitt die Hose mit seinem Messer auf. Sein Unterleib trat stark geschwollen hervor, bedeckt mit schwarzvioletten Flecken, er schmerzte unsäglich. Dem Mann wurde nun bewusst, dass er  niemals aus eigener Kraft nach Tacurú-Pucú gelangen würde, und er beschloss, Hilfe bei seinem compadre Alves zu erbitten, obwohl sie seit langem in Streit lebten.

Die Strömung des Flusses trieb das Boot jetzt auf das brasilianische Ufer zu, und der Mann konnte es leicht festmachen. Er quälte sich, dem Pfad folgend, die Böschung hinauf, blieb aber nach zwanzig Metern erschöpft liegen, mit dem Oberkörper auf dem Boden. „Alves!“, schrie er so laut als nur möglich,  danach lauschte er vergebens. „Compadre Alves! Verweigere mir nicht diesen Gefallen!“, brüllte er erneut, den Kopf vom Boden anhebend. Nicht ein einziger Laut kam aus dem Schweigen des Waldes zurück. Der Mann brachte noch die Kraft auf, zu seinem Boot zurückzukehren, das nun von neuem von der Strömung erfasst und rasend schnell fortgetragen wurde.

Der Paraná fließt dort wie auf dem Grund einer riesigen Schlucht, deren Wände, hundert Meter hoch, ihn in Düsternis einzwängen. Von den mit schwarzen Basaltblöcken gesäumten Ufern steigt, ebenso schwarz, der Wald auf. Vorn, zu den Seiten und nach hinten nichts als die ewige dunkle Mauer, auf deren Hintergrund sich die wirbelnden, lehmigen Wasserfluten des Flusses in endlosen Strudeln austoben.

Die Landschaft ist feindselig, eine Ruhe des Todes herrscht in ihr. Gleichwohl ist sie, wenn die Dämmerung heraufzieht, von stiller und düsterer Schönheit, ja von einzigartiger Majestät. Die Sonne war versunken, als der Mann, hingestreckt in einem Bootsende, von heftigem Schüttelfrost erfasst wurde. Und, das erstaunte ihn, ganz unvermittelt war er in der Lage, wenn auch schwerfällig,  seinen Kopf zu erheben: Er fühlte sich besser. Sein Bein schmerzte kaum noch, sein Durst ließ nach, und seine Brust, freier geworden, hob sich in langsamen Atembewegungen.

Das Gift begann aus seinem Körper zu schwinden, da war kein Zweifel. Fast ging es ihm ja schon wieder gut, und obgleich er nicht die Kraft besaß, die Hand zu bewegen, erwartete er den Abend in der Hoffnung, dann  alles überstanden zu haben. Er rechnete damit, in weniger als drei Stunden in Tacurú-Pucú zu sein. Sein Wohlbefinden schritt voran, jetzt erfasste ihn eine bleierne Schläfrigkeit, angefüllt mit Erinnerungen. Schon verspürte er kaum noch etwas, weder in seinem Bein noch im Bauch. Ob sein compadre Gaona wohl noch in Tacurú-Pucú lebte? Dann könnte er dort vielleicht  auch seinen alten Patron Mister Dougald treffen. Und womöglich auch den Aufkäufer von der Holzfällerei. Würde er rechtzeitig ankommen?

In der Abenddämmerung öffnete sich der Himmel jetzt wie eine goldene Leinwand, und auch das  Flusspanorama hatte die Farben gewechselt. Von der schon im Dunkeln liegenden paraguayischen Seite des Ufers ließ der Wald seine schattige Kühle auf den Fluss herab, vermischt mit durchdringenden Düften von Orangenblüten und Waldhonig.
 
Ein Ara-Paar flog, sehr hoch und geräuschlos, auf die paraguayische Seite. Unten, auf dem Fluss aus Gold, trieb das Boot rasch dahin, bisweilen um sich selbst kreiselnd, wenn ein Strudel es erfasste. Der Mann darin fühlte sich immer besser, und er überlegte angestrengt, wie viel Zeit genau vergangen war, seit er seinen Ex- Patron Dougald nicht mehr gesehen hatte. Waren es drei Jahre? Wohl nicht, nicht so lange. Knapp zwei Jahre? Ja, so war es, ganz sicher.

Plötzlich spürte er die Eiseskälte, die ihn bis zur Brust ergriffen hatte. Was war das? Und was war mit seinem Atem …..? Den Holzaufkäufer des Mister Dougald, Lorenzo Cubillo hieß er, hatte er in Puerto Esperanza an einem Karfreitag kennen gelernt ….Ja, oder an einem Donnerstag ….? Der Mann spreizte langsam die Finger seiner Hand. Ein Donnerstag …..     

Und er hörte auf zu atmen.

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