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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

„La Tortuga Gigante” - Die Riesenschildkröte
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
17.02.05     A+ | a-
In Buenos Aires lebte einmal ein Mann, der war sehr zufrieden, weil er gesund war und fleißig arbeitete. Eines Tages aber wurde er krank. Die Ärzte sagten ihm, er solle aufs Land gehen, nur dort könne er wieder gesund werden. Erst wollte er aber nicht von zuhause weg, weil er noch kleine Geschwister hatte, die er versorgen musste. Bis endlich einer seiner Freunde, und zwar der Direktor des Zoos, zu ihm sagte: „Sie sind mein Freund, und Sie sind ein guter und fleißiger Mann, aber krank. Deshalb möchte ich, dass Sie sich aufs Land begeben, oder auch in den Urwald. Dort können Sie sich an der frischen Luft bewegen und allerlei Übungen machen, um gesund zu werden. Sie haben ein Gewehr und sind ein guter Schütze, jagen Sie doch Waldtiere und bringen Sie mir die Felle und Häute. Ich strecke Ihnen Geld vor, damit Ihre Geschwister genug zu essen haben.“

Der kranke Mann war nun einverstanden und machte sich auf, um im Urwald in Misiones, ja noch weiter als Misiones, zu leben. Dort war es sehr heiß, aber das tat ihm gut. Er lebte ganz allein im Wald, sein Essen kochte er sich selber. Er verspeiste Vögel und allerlei andere Tiere des Urwaldes, die er mit seiner Flinte erlegte, und hinterher aß er noch Früchte. Er schlief unter den Bäumen , bei schlechtem Wetter baute er sich in fünf Minuten einen Unterstand aus Palmblättern, setzte sich darunter und rauchte und war ganz zufrieden mitten im Wald, der in Wind und  Regen rauschte. Er hatte sich ein Bündel aus Tierfellen gemacht, das er auf seinen Schultern trug. Auch hatte er viele giftige Schlangen gefangen, die er in einen großen Behälter aus Kürbis sperrte, die Kürbisse sind dort nämlich so riesig wie ein Benzinkanister. Der Mann bekam wieder eine gesunde Farbe, war kräftig und hatte guten Appetit.

Genau an einem Tag, an dem er sehr hungrig war, weil er seit zwei Tagen nichts gejagt hatte, erblickte er am Ufer einer Lagune einen riesigen Tiger, der gerade eine Schildkröte fressen wollte. Der Tiger hatte die Schildkröte auf den Rücken gedreht, um sie mit der einen Pranke zu packen und ihr mit den Krallen der anderen das Fleisch herauszureißen. Als der Tiger den Mann sah, brüllte er laut auf und wollte sich mit einem Satz auf ihn stürzen. Aber der Jäger, der ja sehr gut zielen konnte, traf ihn mit seiner Flinte genau zwischen die Augen und zerschmetterte ihm den Kopf. „Und jetzt“, sagte der Mann zu sich selber, „werde ich das leckere Fleisch der Schildkröte essen!“

Als er sich aber der Schildkröte  näherte, sah er, dass sie schlimm verletzt war. Ihr Kopf war ja fast vom Hals getrennt und hing nur noch an ein paar Fleischfetzen ! Trotz seines großen Hungers hatte der Mann Mitleid mit der armen Schildkröte. Er schleppte sie an einer Liane bis unter seine Laubhütte und verband ihren Kopf mit Streifen aus Stoff von seinem eigenen Hemd, er hatte nämlich sonst keine Lappen. Er hatte die Schildkröte so hinter sich herschleifen müssen, weil sie riesig war, groß wie ein Stuhl und schwer wie ein Mensch. Die Schildkröte blieb tagelang in einer Ecke der Hütte liegen, ohne sich zu rühren. Der Mann versorgte sie jeden Tag, und hinterher gab er ihr mit der Hand einen Klaps auf den Rücken.

Schließlich wurde die Schildkröte wieder gesund. Jetzt aber war es der Mann, der krank wurde. Er bekam Fieber, und sein ganzer Körper tat ihm weh.Bald konnte er nicht einmal mehr aufstehen, ihm wurde immer heißer, und seine Kehle brannte vor lauter Durst. Der Mann begriff, dass er schwer krank war, und weil er so fieberte, redete er mit lauter Stimme, obwohl er doch ganz allein war. „Ich werde sterben“, sagte der Mann, „ich bin allein, kann nicht mehr aufstehen, und da ist niemand weit und breit, der mir Wasser geben kann. Ich muss hier vor Hunger und Durst sterben.“ Bald wurde das Fieber noch schlimmer, und der Mann verlor das Bewusstsein. Aber die Schildkröte hatte zugehört und verstanden, was er gesagt hatte. Und da dachte sie sich:„Der Jäger hat mich neulich nicht verspeist, obwohl er solchen Hunger hatte, und er hat mich geheilt. Jetzt werde ich ihm helfen, damit er gesund wird.“ Also machte sie sich erst einmal auf zur Lagune, wo sie den Panzer einer kleinen Schildkröte fand. Sie säuberte ihn gründlich mit Asche und Sand und füllte ihn mit Wasser.  Sie brachte dem Mann die Schale und ließ ihn daraus trinken. Danach sammelte sie leckere Wurzeln und zarte Kräuter, die sie ihm zu essen gab.

Von nun an streifte die Schildkröte jeden Morgen durch den Wald und fand immer schmackhaftere Wurzeln, die sie ihm brachte. Sie bedauerte, dass sie nicht auf die Bäume steigen konnte, um ihm auch Früchte zu geben. So aß der Jäger also tagelang, merkte aber gar nicht, von wem er die Nahrung erhielt, weil er im Fieberwahn war und nichts und niemanden erkannte. Eines Tages aber erwachte er aus seiner Ohnmacht. Er schaute nach allen Seiten und stellte fest, dass er ganz allein war. Da waren nur er und die Schildkröte. Aber die war ja ein Tier. Und so rief er wieder mit lauter Stimme aus: „Da bin ich nun allein im Wald, das Fieber kommt bestimmt zurück und ich werde hier sterben. Nur in Buenos Aires gibt es Medizin, die mich retten kann, aber wie soll ich da hinkommen?!  Also muss ich hier sterben.“ Genau wie er es gesagt hatte, bekam er am selben Nachmittag wieder Fieber, stärker noch als zuvor, und wieder verlor er das Bewusstsein. Aber auch dieses Mal hatte die Schildkröte alles verstanden, und sie sagte sich: „Wenn der Mann hier im Wald bleibt, stirbt er, weil es keine Medizin gibt.

Also muss ich ihn nach Buenos Aires bringen.
 
Sagte es und fing an, feine, starke Kletterpflanzen zu schneiden, die wie Schnüren sind, packte sich dann den Mann auf ihren Rücken  -  ganz vorsichtig, und band ihn gut mit den Schlingpflanzen fest, damit er nicht herunterfallen konnte. Sie musste oft probieren, bis sie endlich das Gewehr, die Felle und auch noch den großen ausgetrockneten Kürbis mit den Schlangen gut auf ihrem Panzer verschnürt hatte. Schließlich hatte sie das auch geschafft, ohne dem Jäger wehzutun. Jetzt konnte sie sich auf die Reise machen.

Die Schildkröte, schwer beladen wie sie war, wanderte,  wanderte und wanderte, Tag und Nacht. Sie lief durch Wälder, Ebenen, schwamm durch Flüsse, die über einen Kilometer breit waren, und quälte sich durch Sümpfe, in denen sie fast stecken blieb  -  immer mit dem sterbenden Mann auf dem Rücken. Nach acht oder zehn Stunden Marsch hielt sie an, machte die Knoten los und legte den Mann, so behutsam sie nur konnte, auf eine Stelle mit trockenem Gras. Danach machte sie sich noch einmal auf, um zarte Wurzeln zu suchen, die sie ihm zu essen gab. Sie selber aß auch ein bisschen, obwohl sie so müde war, dass sie meistens sofort einschlief. Manchmal musste sie in der brennenden Sonne wandern, und weil Sommer war, hatte der Jäger so starkes Fieber, dass er fantasierte und fast umkam vor Durst. Dauernd schrie er:“ Wasser! Wasser!“, und jedes Mal musste ihm die Schildkröte zu trinken geben.

So lief sie Stunden um Stunden, Tage um Tage, und sie kamen immer näher an Buenos Aires heran. Aber die Schildkröte wurde auch immer schwächer, jeden Tag hatte sie etwas weniger Kraft, obwohl sie nie klagte. Manchmal blieb sie einfach liegen, vollkommen kraftlos, und der Mann kam wieder halb zu Bewusstsein und sagte mit lauter Stimme: „Ich muss sterben, ich werde immer kränker, und nur in Buenos Aires finde ich Heilung. Aber ich werde hier sterben, ganz allein im Urwald!“ Er glaubte nämlich, er wäre noch immer in seiner Hütte, weil er gar nicht wusste was geschah. Dann erhob sich die Schildkröte und machte sich auf den Weg.

Eines Tages aber, an einem späten Nachmittag, konnte die arme Schildkröte nicht mehr. Schon eine Woche hatte sie nichts mehr gegessen, damit sie schneller ans Ziel kam. Sie war am Ende ihrer Kräfte, jetzt ging es einfach nicht mehr weiter. Als es Nacht wurde, sah sie  ferne Lichter am Horizont und ein Leuchten am Himmel, sie hatte keine Ahnung was das war. Immer schwächer fühlte sie sich, setzte sich hin und schloss ihre Augen, um zusammen mit dem Jäger zu sterben. Mit großer Trauer dachte sie daran, dass sie den Mann, der so gut zu ihr gewesen war, nicht hatte retten können. Aber sie war doch schon in Buenos Aires  -  und wusste es nicht!! Das Leuchten am Himmel war der Widerschein der vielen Lichter der Stadt, und sie sollte jetzt sterben, wo sie doch fast am Ende ihrer heldenhaften Reise war?!

Aber eine Maus aus Buenos Aires  -  vielleicht war es das Mäuschen Pérez  -  entdeckte die beiden halbtoten Reisenden. „Was für eine Schildkröte!“, rief die Maus. „Noch nie habe ich eine so große Schildkröte gesehen! Und was du da auf den Rücken gebunden hast, was ist das?  Ist das Brennholz?“ „Nein“, antwortete die Schildkröte traurig, „es ist ein Mann.“ „Und wohin willst du mit diesem Mann?“, wollte die neugierige Maus wissen. „Ich will ..., ich will ...., ich wollte ihn nach Buenos Aires bringen“, antwortete die arme Schildkröte, mit so leiser Stimme dass man es kaum hören konnte. „Aber wir müssen sterben, weil ich dort niemals ankommen werde.“ „Herrje, so was Verrücktes!“, rief das Mäuschen lachend aus. „Niemals habe ich eine dümmere Schildkröte gesehen! Du bist ja schon in Buenos Aires angekommen! Die Lichter, die du da siehst  -  das ist doch Buenos Aires!“ Als sie das hörte, spürte die Schildkröte plötzlich eine ungeheure Kraft, weil es jetzt ja noch zeitig genug war, um den Jäger zu retten, und sie machte sich schnell wieder auf den Weg.

Es war noch ganz früh am nächsten Morgen, als der Zoodirektor von Buenos Aires eine Riesenschildkröte erblickte, lehmbeschmiert und völlig abgemagert, die auf ihrem Rücken einen sterbenden Mann trug, festgebunden mit Schlingpflanzen, damit er nicht herunterfiel. Der Direktor erkannte seinen alten Freund, er rannte sofort selber los, um Medizin für ihn zu besorgen. Bald war der Mann wieder ganz gesund.

Als der Jäger erfuhr, wie die Schildkröte ihm das Leben gerettet hatte, dass sie eine Reise von mehr als hundert Kilometern gemacht hatte, um Medizin für ihn zu besorgen, wollte er sich nie mehr von ihr trennen. Und weil er sie nicht mit nach Hause nehmen konnte, weil es dort zu eng war, versprach der Direktor, sie in seinem Zoo aufzunehmen, wo er sie wie seine eigene Tochter halten wollte. Und so geschah es. Die Schildkröte war glücklich und zufrieden, weil alle sie lieb hatten. Sie spaziert durch den ganzen Zoo, es ist genau diese riesige Schildkröte, die man immer sehen kann, wenn sie rund um die Affenkäfige das leckere Gras frisst.

Der Jäger aber kommt sie jeden Nachmittag besuchen, und sie erkennt ihren Freund schon von weitem, an seinen Schritten. Sie verbringen ein paar Stunden zusammen, bummeln durch den Zoo  -  und manchmal reitet der Jäger ein paar Meter auf ihrem Panzer.  Die Schildkröte möchte nie, dass der Jäger weggeht, ohne ihr einen zärtlichen Klaps auf den Rücken zu geben.

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