Der Ritter Martin, so die Überlieferung, zerteilte seinen warmen Kriegermantel und gab eine Hälfte dem frierenden Bettler.
Das Teilen mit den Menschen, denen es schlechter geht als uns, ist ein schöner und schon traditioneller Bestandteil des großen Kempener Lichterfestes geworden.
So ziehen seit vielen Jahren die Schüler des Gymnasiums Thomaeum nach dem Zug mit der Sammelbüchse durch die Straßen und klingeln an den Häusern. Nicht für die eigene Tüte sammeln die Mädchen und Jungen, sondern jeweils für ein bestimmtes Hilfs-Projekt. Das ist in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich und deshalb gilt ihnen, ihrem Schulleiter und seinem Kollegium volle Anerkennung.
In diesem Jahr bitten sie um einen Beitrag für gleichaltrige Jugendliche im südamerikanischen Entwicklungsland Paraguay. Dort wurde vor wenigen Tagen eine alternative Landwirtschaftsschule offiziell von der Regierung anerkannt, in der Campesinokinder unterrichtet und zu ökologisch arbeitenden Agrar-Technikern ausgebildet werden. Was vor 6 Jahren neben dem Hühnerstall unter einem Schattendach mit 12 Schülern begann, ist eine
richtige Schule mit 6 Schulräumen und eigenen Versuchsfeldern geworden. 55 Jugendliche werden zur Zeit ausgebildet. Weitere 30 stehen auf der Warteliste.
Was als Experiment begann, um den Kindern der ehemals landlosen Bauern eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, hat Modellcharakter bekommen und erfährt lobende Anerkennung von Fachleuten und Politikern.
Was ist das besondere an dieser Schule und was vermittelt sie ihren Schülern?
Z.B. den Verzicht auf Pestizide und Genmanipulation, Vielfalt statt Monokultur. Neben Mathe und Staatskunde gibt es Unterricht zu Vorratshaltung, Kleinviehzucht und Vermarktung. Die Jugendlichen, die seit Jahren von einer fachkundigen paraguayischen Projektgruppe begleitet und mit Geldern aus Deutschland finanziert werden, haben sich bei den zunächst skeptischen Bauern der Umgebung längst Achtung erworben. Sie verkaufen ihre Produkte, handeln mit ökologischem Saatgut, experimentieren mit naturreinen Säften, Soßen und Marmeladen, die sie fantasievoll in abgesägten Flaschen verpacken. Die Umstellung der eigenen Ernährungsgewohnheiten und die von Schadstoffen freie Kost, hat zur Stabilisierung der Gesundheitsverhältnisse geführt.
Den Schülern und Lehrern dieser Schule im paraguayischen Inland ist der Name „Kempen“ seit Jahren ein Begriff, weil ein Großteil der finanziellen Unterstützung durch die in Kempen beheimatete Pro Paraguay. Deren Leiter, Hermann Schmitz, befindet sich zur Zeit vor Ort und nahm an der großen Einweihungsfeier teil. Begleitet wurde er dabei von Dr. Kerll, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland und dessen Frau, die sich zusammen mit einer großen Anzahl geladener Gäste, Regierungsvertretern, dem paraguayischen Fernsehen, sowie Freunden und Förderern des Projektes über aufgeweichte Erdstraßen auf den mühsamen Weg machten . Selbstverständlich kamen die Zutaten für das Fest-Büfett aus den Gärten und der Tierhaltung der Schule. An Informationsständen konnten sich die Gäste ein Bild von der Arbeit der Schüler machen, die in selbstbewussten Vorträgen ihr erworbenes Fachwissen unter Beweis stellten.
Die besondere Aufmerksamkeit der versammelten Gäste erfuhr der Gast aus Kempen. In seiner Rede erzählte er , wie Sankt Martin in Kempen gefeiert wird. In seinem Reisegepäck befanden sich zwei große Pakete Spekulatius und drei Mondlaternen. Die Plätzchen mit dem unaussprechlichen Namen waren umgehend verzehrt. Die Mond-Lampions erhellen noch heute den nächtlichen Urwald.
Der „halbe Mantel“ aus Kempen wärmt dieses Mal keinen frierenden Bettler. Aber in einem fernen Entwicklungsland, in dem gerade der heiße Sommer beginnt, freuen sich lernbegierige Jugendliche über neue wichtige Lehr- und Arbeitsmittel. Insgeheim hoffen einige, dass etwas Geld übrig bleibt und damit ein Bus für den heiß begehrten Ausflug bezahlt werden kann.
In seinem Brief nach Hause merkt man Hermann Schmitz etwas von der Bewegung und Rührung an, die sein Vortrag ausgelöste . Überrascht hatten Schüler, Eltern und Gäste zugehört. Dann gab es Freudentänze bei den Jugendlichen und einen schmunzelnden Botschafter, der unbedingt über den weiteren Verlauf und den Erfolg der Sammlung informiert werden will.
Mit großer Dankbarkeit reagieren die Jugendlichen in Juan de Mena und ihre Lehrer auf die Aktion der Mädchen und Jungen des Thomaeums. Sie baten darum, ihnen Fotos der fleißigen Sammler zu schicken. Diese sind herzlich eingeladen, Paraguay, Juan de Mena und die Landwirtschaftsschule kennen zu lernen.